Eine lange Geschichte des Engagements
Machtmissbrauch ist nicht nur gesellschaftliche, sondern auch kirchliche Realität – und das schon viel zu lange. Wie auch andere Institutionen schrittweise Transparenz und Aufarbeitung etablieren, treiben evangelisch-reformierte Kirchen in der Schweiz mittlerweile eine konsequente Auseinandersetzung voran. femmes protestantes engagieren sich seit Jahren dafür, das Schweigen um Machtmissbrauch zu durchbrechen, Missstände zu benennen und aktiv an Lösungen zu arbeiten. Dieses Engagements manifestiert sich in diesem Jahr in der Organisation einer nationalen Konferenz im Mai, die Prävention, Intervention und Aufarbeitung von sexualisiertem und spirituellem Machtmissbrauch in den Fokus stellt.
Von der Tabuisierung zur Aufarbeitung
Bereits 2020, damals noch als Evangelische Frauen Schweiz (EFS), veröffentlichte der Verband Thesen zu Machtmissbrauch und forderte tiefgreifende strukturelle Veränderungen. Im Zentrum stand die Vision einer Kirche, die Transparenz und Demokratie lebt, Macht dezentralisiert und die Würde aller Menschen schützt. Besonders die patriarchalen Machtstrukturen der Kirche wurden als Nährboden für Missbrauch benannt. Es ging nicht nur um sexualisierte Gewalt, sondern auch um spirituellen Missbrauch – ein besonders perfides Machtmittel, das durch die Manipulation religiöser Gefühle tiefe seelische Verletzungen verursacht.
Ein entscheidender Wendepunkt war die Untersuchungskommission zum Vorwurf sexualisierter Übergriffe gegen den ehemaligen EKS-Ratspräsidenten. Geleitet von Marie-Claude Ischer, der heutigen Vize-Präsidentin der femmes protestantes, beleuchtete die Kommission nicht nur individuelle Fehltritte, sondern insbesondere die systemischen Bedingungen, die Machtmissbrauch begünstigen. Mit ihrer Arbeit legte sie den Grundstein für eine neue Kultur der Verantwortung und Transparenz in der evangelisch-reformierten Kirche.
Das Engagement im Dialog und in der politischen Arbeit
femmes protestantes verstärkten im Anschluss ihre Bemühungen auf mehreren Ebenen. So positionierten sie sich im Frühsommer 2024 kritisch gegenüber einer gesamtgesellschaftlichen Dunkelfeldstudie der EKS, die Gefahr lief, das Thema sexualisierter Gewalt zu verwässern und den spezifischen Kontext der Kirche ausblendete. Stattdessen setzten sie sich für eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Machtstrukturen innerhalb der Kirche ein und brachten sich aktiv in die Vernehmlassung zu den Schutzmassnahmen für persönliche Integrität ein. Ihre Vize-Präsidentin arbeitet seit September 2024 in der erweiterten Arbeitsgruppe der EKS mit, um Handlungsfelder zu analysieren und konkrete Vorschläge zur Missbrauchsprävention, -intervention, der Aufarbeitung und Anerkennung zu erarbeiten. Zudem organisierten sie im Januar 2025 die Veranstaltung «En Dialogue», die sich mit Schuld, Bewältigungsmechanismen und Aufarbeitung auseinandersetzte. Die Veranstaltung bot Raum für Betroffene, kirchliche Entscheidungsträger:innen und Expert:innen, um offen und respektvoll miteinander ins Gespräch zu kommen. Es wurde deutlich, dass nachhaltige Veränderung nur im Dialog möglich ist – und dass dieser Dialog unbequem sein muss, um wirksam zu werden.
Die Konferenz 2025: Ein Raum für Dialog
Die nationale Konferenz im Mai 2025 soll das bisherige Engagement bündeln und eine vertiefte Auseinandersetzung ermöglichen. Sie verfolgt das Ziel, strukturelle und kulturelle Herausforderungen im kirchlichen Umfeld zu beleuchten und bestehende Ansätze zur Missbrauchsprävention zu evaluieren. Besonders wichtig ist die Perspektive von Betroffenen sowie eine Aussensicht, die ermöglicht, eigene blinde Flecken zu identifizieren wie auch von Erfahrungen anderer zu lernen.
In Ateliers werden zentrale Themen wie die Schaffung einer nationalen Meldestelle, die Betroffenenbeteiligung, der angestrebte Kulturwandel und die Implementierung von Schutzkonzepten diskutiert. Besonders hervorzuheben ist die Auseinandersetzung mit spirituellem Missbrauch, der in kirchlichen Kontexten oft noch zu wenig beachtet wird, obwohl er häufig der sexualisierten Gewalt vorausgeht oder sie begleitet.
Ein Blick nach vorne: Lernen und Verantwortung übernehmen
Die langjährige Auseinandersetzung mit sexualisiertem und spirituellem Machtmissbrauch hat femmes protestantes viel gelehrt. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass Kirche eine lernende Institution sein muss. Es reicht nicht, Schutzkonzepte zu implementieren – die Kultur muss sich ändern. Das bedeutet auch, feministische und inklusive Theologien in der Aus- und Weiterbildung stärker zu verankern, um patriarchale Machtstrukturen zu erkennen, zu hinterfragen und langfristig zu überwinden.
Im Kontext ihres Einsatzes für eine geschlechtergerechte Kirche sehen sich femmes protestantes in der Verantwortung, weiter aktiv an der Prävention, Intervention und Aufarbeitung mitzuwirken. Die Konferenz 2025 ist ein weiterer Meilenstein auf diesem Weg – ein Weg, der nicht einfach ist, aber notwendig, um der Verpflichtung zu Gerechtigkeit treu zu bleiben und dazu beizutragen, dass Kirche Zukunft hat.